Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter: Regelvermutung für die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen

Wie in einem Uhrwerk können auch auf unseren Straßen bereits die kleinsten (Zahn-)Räder große Schäden anrichten. Das sollte jedem erwachsenen Verkehrsteilnehmer bewusst sein - besonders dann, wenn dieser nachweislich eine Fahrprüfung erfolgreich absolviert hat. In disem Fall musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) daher auch entscheiden, ob eine Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter den Entzug der Fahrerlaubnis nach sich ziehen kann. Wer sich daran erinnert, wie es sich sogar mit den Folgen einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad verhalten kann, ahnt, wie die Antwort ausfiel.

Wie in einem Uhrwerk können auch auf unseren Straßen bereits die kleinsten (Zahn-)Räder große Schäden anrichten. Das sollte jedem erwachsenen Verkehrsteilnehmer bewusst sein - besonders dann, wenn dieser nachweislich eine Fahrprüfung erfolgreich absolviert hat. In disem Fall musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) daher auch entscheiden, ob eine Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter den Entzug der Fahrerlaubnis nach sich ziehen kann. Wer sich daran erinnert, wie es sich sogar mit den Folgen einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad verhalten kann, ahnt, wie die Antwort ausfiel.

Der Angeklagte hatte sich spontan dazu entschlossen, nach einem Kneipenbesuch einen E-Scooter für die Heimfahrt zu nutzen. Seine Blutalkoholkonzentration lag bei mindestens 1,64 ‰. Das erstinstanzliche Amtsgericht (AG) hatte ihn daraufhin zwar wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe und einem Fahrverbot von sechs Monaten verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde dem Angeklagten jedoch nicht entzogen. Hiergegen wandte sich die Amtsanwaltschaft mit einer sogenannten Sprungrevision, mit der das Rechtsmittel der Revision direkt gegen erstinstanzliche Entscheidungen der unteren Gerichte eingelegt und die Zweitinstanz übersprungen wird.

Das OLG hat das Urteil dahingehend aufgehoben, dass das AG die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Bestimmung einer Sperrfrist für die Neuerteilung abgelehnt hatte. Denn nach Ansicht des OLG war die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, da sich aus der Tat ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet war. Es besteht weder Raum für ein Ermessen des Tatrichters noch findet eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Der Umstand, dass der Angeklagte nicht Auto, sondern E-Scooter gefahren ist, sei unerheblich. Auch der Hinweis des AG, dass die Benutzung eines E-Scooters durch einen betrunkenen Fahrer andere Menschen nicht in gleichem Maße gefährde wie die Trunkenheitsfahrt eines Kraftfahrzeugfahrers, überzeugte das OLG nicht. Der Sturz eines Fußgängers oder Radfahrers könne ganz erhebliche, unter Umständen sogar tödliche Verletzungen verursachen, insbesondere bei Ausweichmanövern stärker motorisierter Verkehrsteilnehmer durch alkoholbedingte Fahrfehler eines E-Scooter-Fahrers. Der Angeklagte hat durch seine gedankenlose Nutzung eines E-Scooters in erheblich alkoholisiertem Zustand die Katalogtat der fahrlässigen Trunkenheitsfahrt erfüllt und sich damit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.

Hinweis: Die Begehung einer Trunkenheitsfahrt - wie hier - begründet eine Regelvermutung für die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen, § 69 Strafgesetzbuch. Nur wenn sich die Tatumstände von denen eines Durchschnittsfalls deutlich abheben, kann in seltenen Ausnahmefällen von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden. Mit der Entziehung der Fahrerlaubnis soll nicht nur verhindert werden, dass der Täter weiterhin betrunken Kraftfahrzeuge fährt. Bezweckt wird vielmehr ganz allgemein der Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 08.05.2023 - 1 Ss 276/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Vorverstorbener Schlusserbe: Im Zweifel werden Zuwendungen auf die Abkömmlinge erstreckt

Die Auslegung von letztwilligen Verfügungen spielt in der täglichen Praxis der Rechtsanwendung eine entscheidende Rolle. Je genauer die Formulierung in einem Testament ist, desto weniger Raum für eine Auslegung verbleibt. So dachte es sich im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) auch der Sohn einer Erblasserin, als dieser einen Erbschein beantragte, der ihn als namentlich benannten Alleinerben auswies.

Die Auslegung von letztwilligen Verfügungen spielt in der täglichen Praxis der Rechtsanwendung eine entscheidende Rolle. Je genauer die Formulierung in einem Testament ist, desto weniger Raum für eine Auslegung verbleibt. So dachte es sich im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) auch der Sohn einer Erblasserin, als dieser einen Erbschein beantragte, der ihn als namentlich benannten Alleinerben auswies.

Die Erblasserin hatte mit ihrem Ehemann aus zweiter Ehe ein Testament errichtet, in dem die beiden Söhne namentlich als Schlusserben eingesetzt worden sind. Vor dem Tod der Erblasserin war ein Sohn bereits verstorben. Dies veranlasste das Nachlassgericht dazu, den bereits erteilten Alleinerbschein mit der Begründung einzuziehen, dieser sei offensichtlich unrichtig, da neben dem verbliebenen Sohn der Erblasserin auch der Sohn des vorverstorbenen Schlusserben - der Enkel der Erblasserin - Miterbe geworden sei. Hiergegen wendete sich der Sohn der Erblasserin jedoch erfolglos.

Zuwendungen an einen Abkömmling werden kraft Gesetzes im Zweifel auf dessen Abkömmlinge erstreckt, wenn der ursprünglich Bedachte nach Errichtung des Testaments weggefallen ist. Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser den Bedachten in erster Linie wegen seiner Eigenschaft als Abkömmling eingesetzt hat, weshalb auch die Erstreckung auf dessen Abkömmlinge der gesetzlichen Vermutung entspricht. Das OLG konnte daher keine Gründe feststellen, die gegen eine solche Vermutung sprechen.

Hinweis: Will ein Erblasser genau diesen Eintritt der gesetzlichen Vermutung verhindern, muss dies ausdrücklich im Testament erklärt werden.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 20.06.2023 - 3 W 41/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Motiv statt Bedingung: Urlaubsantritt als Anlass zur Testamentserstellung

Wieder einmal musste gerichtlich über die inhaltliche Interpretation eines Testaments entschieden werden. In dem Verfahren vor dem Landgericht Hagen (LG) ging es darum, ob der vorliegende letzte Wille der Erblasserin sich nur auf eine bestimmte Bedingung - nämlich das Versterben während eines anstehenden Urlaubs - bezog oder aber darüber hinaus Gültigkeit haben sollte.

Wieder einmal musste gerichtlich über die inhaltliche Interpretation eines Testaments entschieden werden. In dem Verfahren vor dem Landgericht Hagen (LG) ging es darum, ob der vorliegende letzte Wille der Erblasserin sich nur auf eine bestimmte Bedingung - nämlich das Versterben während eines anstehenden Urlaubs - bezog oder aber darüber hinaus Gültigkeit haben sollte.

Die Beteiligten stritten über Pflichtteilsansprüche nach dem Tod der Erblasserin. Die Parteien waren die beiden einzigen Kinder der Erblasserin, die 2021 verstarb. Das Testament der Erblasserin aus dem Jahr 1998 besagte, dass ihr Haus an ihre Tochter geht, während ihre Enkelkinder unter bestimmten Bedingungen Ansprüche auf das Haus erheben können. Einleitend heißt es in dem Testament: "Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte lege ich hiermit meinen letzten Willen fest. Das gilt für den Fall, dass ich nicht aus meinem Urlaub zurückkomme." Der Sohn schlug die Erbschaft nach dem Tod der Mutter aus und forderte die Schwester auf, ein Nachlassverzeichnis vorzulegen. Im Raum stand nun die Frage, ob es sich bei der Formulierung bezüglich des Urlaubs um eine Bedingung handelte, die für die folgende Verfügung maßgeblich gewesen sei, oder aber, ob es sich lediglich um das Motiv der Erblasserin für die Erstellung eines Testaments gehandelt habe.

Das LG entschied, dass die Erwähnung der Urlaubsreise lediglich den Anlass für die Errichtung darstellte und das Testament unbedingt gelten sollte - ohne an das Versterben während einer Urlaubsreise geknüpft zu sein. Die Auslegung des Testaments legte nahe, dass es sich um eine Motivangabe handelte und somit keine echte Bedingung für die Gültigkeit des Testaments vorlag. Die inhaltlichen Regelungen des Testaments zeigten zudem keinen Zusammenhang mit der Todesart oder dem Todeszeitpunkt der Erblasserin. Weiterhin verwies das LG darauf, dass die Erblasserin das Testament über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten unverändert gelassen hatte, was darauf hindeutete, dass es insgesamt für ihre Erbfolge maßgeblich sein sollte. Das LG verpflichtete die Schwester schließlich zur Auskunft über den Nachlass, da sie aufgrund des Testaments zur Alleinerbin eingesetzt worden war und dem Bruder nach wie vor Pflichtteilsansprüche zustanden. Auf die Ausschlagung der Erbschaft kam es nicht mehr an.

Hinweis: Eine Erbschaftsausschlagung zum Zweck der Geltendmachung des Pflichtteils geht ins Leere, wenn der Pflichtteilsberechtigte testamentarisch von der Erbfolge ausgeschlossen ist.


Quelle: LG Hagen, Urt. v. 02.06.2023 - 4 O 265/22
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Vorsorgevollmacht hat Vorrang: Bei innerfamiliärem Streit ist Kontrollbetreuer der Bestellung eines Berufsbetreuers vorzuziehen

Wer für seinen geistigen Ausfall bei Krankheit oder im Alter vorsorgen will, bevorzugt in einer Vorsorgevollmacht oft lieber Familienangehörige, als sein Schicksal in die Hände eines fremden Betreuers zu legen. Dass diese durchaus nachvollziehbare Entscheidung aber keine Garantie dafür gibt, dass alles reibungsfrei abläuft, beweist auch der folgende Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

Wer für seinen geistigen Ausfall bei Krankheit oder im Alter vorsorgen will, bevorzugt in einer Vorsorgevollmacht oft lieber Familienangehörige, als sein Schicksal in die Hände eines fremden Betreuers zu legen. Dass diese durchaus nachvollziehbare Entscheidung aber keine Garantie dafür gibt, dass alles reibungsfrei abläuft, beweist auch der folgende Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

Hier waren Tochter und Enkel zur Betreuung bevollmächtigt. Zwischen den beiden kam es aber zu einem Zerwürfnis und zu Uneinigkeit, wo die Mutter bzw. die Oma gepflegt werden sollte. Und so blockierten sich die beiden gegenseitig. Da der Pflegedienst zudem gegen den Enkel Strafanzeige erstattet hatte -  worüber noch nicht entschieden war -, bestellte das Betreuungsgericht eine Berufsbetreuerin. Das zuständige Landgericht bestätigte diesen Schritt, der BGH hob ihn wieder auf.

Es komme laut BGH nämlich nicht darauf an, ob die Berufsbetreuerin objektiv besser geeignet wäre. Die grundsätzliche Entscheidung der Betroffenen gegen die Fremdbetreuung und für die Familienvollmacht sei zu respektieren. Ferner müssen "mildere Mittel" geprüft werden, bevor eine Vorsorgevollmacht entzogen wird. Der entsprechende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf die Bevollmächtigten positiv einzuwirken. Ein solcher Kontrollbetreuer kann Auskünfte verlangen und Weisungen erteilen. Außerdem kann das Betreuungsgericht gemäß § 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch auch unmittelbar zwischen zwei gleichrangig Bevollmächtigten regeln, wer in einer konkreten Frage allein entscheiden darf.

Hinweis: Der BGH nutzte die Entscheidung, um erneut zu bekräftigen, dass das Betreuungsgericht ohne persönlichen Kontakt zum Betroffenen nichts entscheiden darf, auch wenn der Begriff "Anhörung" unpassend sei, wenn sich der Betroffene nicht mehr äußern könne.
 
 
 


Quelle: BGH, Beschl. v. 29.03.2023 - XII ZB 515/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Kein Erbarmen beim Mindestunterhalt: Für Kindesunterhalt muss der Vater 48 Wochenstunden arbeiten

Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat erneut schlüssig dargelegt, dass der Mindestunterhalt für Kinder seinen Namen zu Recht trägt. Denn dieser Mindestunterhalt stelle schließlich den Betrag dar, der laut "Düsseldorfer Unterhaltstabelle" mindestens geschuldet sei. Und weniger als mindestens ist nur in den seltensten Ausnahmen möglich.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat erneut schlüssig dargelegt, dass der Mindestunterhalt für Kinder seinen Namen zu Recht trägt. Denn dieser Mindestunterhalt stelle schließlich den Betrag dar, der laut "Düsseldorfer Unterhaltstabelle" mindestens geschuldet sei. Und weniger als mindestens ist nur in den seltensten Ausnahmen möglich.

Das musste auch ein selbständiger Fliesenleger (Einmannbetrieb) lernen, der mit seinem Gewerbe lediglich rund 1.800 EUR netto im Monat erzielte. Nach eigenen Angaben werde sich hieran auch zukünftig nichts ändern. Für den Mindestunterhalt seiner drei Kinder reiche das rechnerisch nicht - er sei ein sogenannter Mangelfall.

Auf sein tatsächliches Einkommen konnte er sich laut OLG aber nicht zurückziehen, da ihn gegenüber den minderjährigen Kindern eine verschärfte Erwerbsobliegenheit trifft (§ 1603 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Deshalb hätte er 48 Wochenstunden, das Maximum nach §§ 3, 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG), arbeiten müssen. Wenn die Erhöhung seines zeitlichen Einsatzes als Selbständiger nicht den erforderlichen Ertrag bringe, hätte er sich für die Wochenenden, an denen er die Kinder nicht zu Besuch hatte, eine Nebenbeschäftigung mit täglich acht Stunden zum Mindestlohn suchen müssen. Wenn das immer noch nicht reiche, sei es ihm zumutbar, seine selbständige Tätigkeit ganz aufzugeben und eine abhängige Arbeit aufzunehmen. Das OLG recherchierte im Internet: Als angestellter Fliesenleger hätte der Vater bei einer laut ArbZG zulässigen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden ein Monatseinkommen von rund 3.536 EUR brutto erwirtschaften können - das hätte für den Mindestunterhalt der drei Kinder gereicht. Also egal wie: Zum Mindestunterhalt wurde er verurteilt.

Hinweis: Einem selbständigen Unternehmer, der aus seinem Einkommen nicht den Mindestunterhalt für seine Kinder erwirtschaften kann, können die Aufgabe des Unternehmens und die Aufnahme einer abhängigen Arbeit zugemutet werden, wenn er sonst auf längere Zeit nicht zu Mindestunterhaltsleistungen in der Lage ist. Regelmäßig seien drei bis sechs Monate ausreichend für das Auffinden einer entsprechenden Arbeitsmöglichkeit, für die anschließende Zeit wird mit einem fiktiv erzielbaren Einkommen gerechnet.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 28.04.2023 - 13 UF 79/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Verfahrenskostenhilfe für Notarvertrag: OLG bestätigt allseitiges Interesse an einer Einigung ohne streitiges Verfahren

Auch wenn jemand "arm im Sinne des Gesetzes" ist und damit Verfahrenskostenhilfe (VKH) für sein Scheidungsverfahren bekommt, kann ein zusätzlicher Notarvertrag sinnvoll sein. So war es im Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg: Die Eheleute wollten sich über ihre Vermögensauseinandersetzung (Zugewinnausgleich) und den Unterhalt nicht vor Gericht streiten, sondern fanden mithilfe ihrer Anwälte eine außergerichtliche Lösung, die ein Notar beurkundete.

Auch wenn jemand "arm im Sinne des Gesetzes" ist und damit Verfahrenskostenhilfe (VKH) für sein Scheidungsverfahren bekommt, kann ein zusätzlicher Notarvertrag sinnvoll sein. So war es im Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg: Die Eheleute wollten sich über ihre Vermögensauseinandersetzung (Zugewinnausgleich) und den Unterhalt nicht vor Gericht streiten, sondern fanden mithilfe ihrer Anwälte eine außergerichtliche Lösung, die ein Notar beurkundete.

Das Amtsgericht verweigerte allerdings, die hierfür entstandenen Anwaltskosten auch im Rahmen der VKH zu übernehmen, und begründete das damit, dass die Folgesachen "Zugewinn und Unterhalt" nicht im Gerichtsverfahren anhängig waren. Die Eheleute hätten "pro forma" entsprechende Anträge gegeneinander bei Gericht stellen sollen, bevor sie sich einigen - dann hätte kein Hindernis bestanden, auch die Anwaltskosten dafür abzurechnen.

Das OLG Oldenburg befand diese Ansicht wie bereits andere OLGs zuvor als unsinnig. Es sei ja im allseitigen Interesse - auch des Gerichts -, wenn Eheleute ihre wirtschaftliche Entflechtung ohne streitiges Verfahren regeln und dabei von Anwälten unterstützt werden. Demzufolge wäre es eine Ungleichbehandlung der "armen" Bevölkerung, wenn der Staat nur das Streiten finanzieren würde, nicht das Einigen. Der Anspruch ergibt sich - leider nicht ganz ausdrücklich - aus § 48 Abs. 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.

Hinweis: Allerdings muss die Tätigkeit während des Scheidungsverfahrens anfallen - ein vorsorglicher Trennungsfolgenvertrag, bevor die Scheidung eingereicht wird, könnte nicht auf diese Weise über die VKH abgerechnet werden.


Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.06.2023 - 13 WF 42/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Kein rückwirkender Unterhalt: Mahnung durch das Jobcenter löst keinen Verzug aus

Vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG) ging es um den Unterhalt für ein volljähriges Kind von Februar bis Oktober. Und so bitter es für den jungen Mann auch war: Hier zeigte sich eine der Folgen des Erwachsenwerdens - der Dschungel an zwingenden Abläufen, die es zu berücksichtigen gilt, um seine Ansprüche geltend zu machen.

Vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG) ging es um den Unterhalt für ein volljähriges Kind von Februar bis Oktober. Und so bitter es für den jungen Mann auch war: Hier zeigte sich eine der Folgen des Erwachsenwerdens - der Dschungel an zwingenden Abläufen, die es zu berücksichtigen gilt, um seine Ansprüche geltend zu machen.

Zunächst hatte der junge Mann noch das Gymnasium besucht. Zwischen dem Abitur im Juni und dem Studienbeginn im Oktober hatte er nicht gearbeitet. Im gesamten Zeitraum hatte er mit seiner Mutter von Leistungen des Jobcenters gelebt. Diese Hilfegewährung wurde allerdings nur vorläufig gewährt, da noch nicht abschließend geprüft worden war, ob die Bedarfsgemeinschaft über Ersparnisse verfügte. Parallel dazu hatte das Jobcenter die Unterhaltsansprüche gegen den Vater geprüft - zu entsprechenden Zahlungen war es aber nicht gekommen. Das Jobcenter forderte schließlich die Leistungen von Mutter und Sohn zurück, weil die Bedarfsgemeinschaft doch nicht bedürftig gewesen sei. Daraufhin verklagte der Sohn seinen Vater auf Ausbildungsunterhalt für diesen zurückliegenden Zeitraum.

Im ersten Schritt traf das OLG für den Sohn durchweg positive Feststellungen; für ihn habe für den gesamten Zeitraum druchaus ein Unterhaltsanspruch bestanden, zunächst als Schüler "privilegiert", dann zwischen Abitur und Studium ohne Pflicht zu eigener Erwerbstätigkeit und schließlich auch noch als Student. Im zweiten Schritt brachte das OLG gleichwohl den Zahlungsanspruch des Sohns zu Fall - und zwar wegen des gesetzlichen Forderungsübergangs aus § 33 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch. Indem das Jobcenter seinen Lebensunterhalt gesichert hatte, hatte der junge Mann den Anspruch an die Behörde verloren. Es war richtig gewesen, dass das Jobcenter mit dem Vater Schriftverkehr über dessen Leistungsfähigkeit führte. Dieser Anspruch fiel aber nicht automatisch an den Sohn zurück, als das Jobcenter die Bewilligung aufhob und die Leistungen zurückforderte. Da es eine solche gesetzliche Regelung schlichtweg nicht gibt, hätte eine vertragliche Rückabtretung erfolgen müssen. Aber selbst die hätte dem Sohn nicht geholfen, denn er selbst hatte seinen Vater nie in Verzug gesetzt - sprich wegen des Unterhalts angeschrieben. Dass das Jobcenter den Vater in Verzug gesetzt hatte, während der Anspruch dorthin übergegangen war, half dem Sohn überraschenderweise nicht -  ohne Verzug also keine Zahlungspflicht.

Hinweis: Die Entscheidung zeigt, dass Hilfeempfänger vorläufiger Leistungen nicht unterlassen dürfen, ihren Unterhaltsanspruch vorsorglich selbst geltend zu machen, damit sie in dem Fall, dass ihnen die Hilfe nachträglich wieder entzogen wird, auf die Inverzugsetzung zurückgreifen können.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 22.06.2023 - 13 UF 80/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Eindeutiges Abhängigkeitsverhältnis: Kanzleiinhaber beschäftigt scheinselbständige Rechtsanwälte

Immer, wenn es um Scheinselbständigkeit geht, wird es für den entsprechenden Auftrag- oder Arbeitgeber im Nachhinein meistens richtig teuer. Im folgenden Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging, handelte es sich um einen Rechtsanwalt - und der hätte besser wissen müssen, welche Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit sprechen.

Immer, wenn es um Scheinselbständigkeit geht, wird es für den entsprechenden Auftrag- oder Arbeitgeber im Nachhinein meistens richtig teuer. Im folgenden Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging, handelte es sich um einen Rechtsanwalt - und der hätte besser wissen müssen, welche Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit sprechen.

Ein seit 1982 niedergelassener Rechtsanwalt beschäftigte als Alleininhaber seiner Kanzlei zwölf Anwälte als selbständige freie Mitarbeiter. Vor Beginn ihrer Kanzleitätigkeit schloss er mit den Rechtsanwälten einen schriftlichen Vertrag über eine Zusammenarbeit und eine weitere schriftliche Zusatzvereinbarung. Im Mitarbeitervertrag war geregelt, dass der jeweilige Rechtsanwalt seine Sozialabgaben selbst abführt, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durfte. Ebenso war dieser berechtigt, das vereinbarte Jahresgehalt in monatlichen Teilbeträgen abzurufen. Die Zusatzvereinbarung sah dann aber vor, dass die Beschäftigung eigenen Personals und die Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei der Zustimmung der Kanzlei bedurften und Werbemaßnahmen abzustimmen und zu genehmigen waren. Sofern sie keine Termine wahrzunehmen hatten, arbeiteten die Anwälte in den Kanzleiräumen und waren nur für den Kanzleiinhaber tätig, der ihnen auch die zu bearbeitenden Mandate zuwies.

Das vorinstanzliche Landgericht verurteilte den Anwalt wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 189 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Daneben hat es eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 EUR verhängt sowie die Einziehung der Erträge aus der Tat in Höhe von ca. 120.000 EUR angeordnet.

Vom BGH wurde das Urteil bestätigt. Es bestanden zwischen dem Rechtsanwalt und seinen zwölf angestellten Anwälten sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die vertraglichen Vereinbarungen - insbesondere aber die tatsächlichen Gegebenheiten und das Fehlen jedweden unternehmerischen Risikos - belegten, dass die Rechtsanwälte ihre Tätigkeit nicht als selbständige freie Mitarbeiter, sondern als abhängig Beschäftigte ausgeübt hatten.

Hinweis: Der Rechtsanwalt hatte sich also strafbar gemacht. Neben den strafrechtlichen Folgen und der Abschöpfung des Gewinns muss er auch noch befürchten, Sozialversicherungsbeiträge für die angestellten Anwälte zahlen zu müssen.


Quelle: BGH, Urt. v. 08.03.2023 - 1 StR 188/22
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Mindesteinsatzquote verpasst: Keine Vertragsverlängerung durch Saisonabbruch aufgrund der Pandemie in der Regionalliga

Der vorzeitige Abbruch einer Spielsaison wegen Corona führte auch bei einigen Fußballern zu konkreten wirtschaftlichen Folgen. Ein Spieler klagte sich durch die Instanzen bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG). Er war der Meinung, dass ihm die Pandemie verwehrte, seine Mindesteinsatzquote zu erfüllen, um eine weitere Spielzeit unter Vertrag genommen zu werden.

Der vorzeitige Abbruch einer Spielsaison wegen Corona führte auch bei einigen Fußballern zu konkreten wirtschaftlichen Folgen. Ein Spieler klagte sich durch die Instanzen bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG). Er war der Meinung, dass ihm die Pandemie verwehrte, seine Mindesteinsatzquote zu erfüllen, um eine weitere Spielzeit unter Vertrag genommen zu werden.

Der Fußballer schloss einen für die Zeit vom 01.09.2019 bis zum 30.06.2020 befristeten Arbeitsvertrag als Profifußballer und Vertragsspieler mit einem Verein für dessen in der Regionalliga Südwest spielende erste Mannschaft. Nach einer Regelung im Vertrag sollte sich dieser Vertrag um eine weitere Spielzeit verlängern, wenn der Spieler auf mindestens 15 Einsätze von mindestens 45 Minuten in Meisterschaftsspielen kommt. Bis zum 15.02.2020 absolvierte der Profi zwölf Einsätze. Danach wurde er aufgrund einer aus sportlichen Gründen getroffenen Entscheidung des neu berufenen Trainerteams nicht mehr eingesetzt. Ab Mitte März 2020 fand pandemiebedingt kein Spielbetrieb mehr statt. Am 26.05.2020 wurde die ursprünglich mit 34 Spieltagen geplante Saison vorzeitig beendet. Der Fußballer war nun der Auffassung, dass sich sein Vertrag um eine Spielzeit bis zum 30.06.2021 verlängert habe. Die vereinbarte Bedingung hierfür sei angesichts des ungeplanten Saisonabbruchs bereits aufgrund seiner zwölf Spieleinsätze eingetreten. Hätten die Parteien das pandemiebedingte vorzeitige Ende der Spielzeit vorhergesehen, hätten sie eine an die tatsächliche Zahl von Spieltagen angepasste verringerte Mindesteinsatzzahl oder auch nur eine Mindesteinsatzquote vereinbart.

Sämtliche Arbeitsgerichte sahen das anders - und so auch das BAG. Die entsprechende Klausel gilt in Arbeitsverträgen mit Profifußballern als üblich und musste nicht wegen der Pandemie korrigiert oder angepasst werden.

Hinweis: Ob die Klausel überhaupt wirksam war, haben die Richter nicht entschieden. Nach ihrer Ansicht lagen schon die Voraussetzungen für die Vertragsverlängerung nach 15 Einsätzen nicht vor.


Quelle: BAG, Urt. v. 24.05.2023 - 7 AZR 169/22
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Auch ohne Sorgerecht: Leibliche Eltern müssen bei Änderung des Nachnamens beteiligt werden

Auch wenn Eltern ihr Sorgerecht verloren haben, muss das Familiengericht sie bei wichtigen Entscheidungen über die Kinder am Verfahren beteiligen. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) ging es dabei um den Wunsch einer Pflegefamilie, gemeinsam mit ihren Pflegekindern denselben Nachnamen tragen zu dürfen. Doch wer meint, "sorgerechtslos" bedeute, dass die leiblichen Eltern bezüglich ihrer Kinder völlig rechtlos seien, irrt besonders, wenn es um das "letzte Band" der Zugehörigkeit geht.

Auch wenn Eltern ihr Sorgerecht verloren haben, muss das Familiengericht sie bei wichtigen Entscheidungen über die Kinder am Verfahren beteiligen. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) ging es dabei um den Wunsch einer Pflegefamilie, gemeinsam mit ihren Pflegekindern denselben Nachnamen tragen zu dürfen. Doch wer meint, "sorgerechtslos" bedeute, dass die leiblichen Eltern bezüglich ihrer Kinder völlig rechtlos seien, irrt besonders, wenn es um das "letzte Band" der Zugehörigkeit geht.

Die zwölfjährigen Zwillinge, deren Sorgerecht die ursprünglich allein sorgeberechtigte Mutter bereits seit langem verloren hatte, wohnten seit ihrem dritten Lebensjahr bei einer Pflegefamilie. Der Vormund wollte erreichen, dass die Kinder - auch auf eigenen Wunsch - den Nachnamen der Pflegefamilie tragen dürfen. Die Mutter teilte mit, sie könne nur damit einverstanden sein, wenn sie mit den Kindern über ihren Wunsch sprechen dürfe. Da aber seit Jahren kein Kontakt mehr zwischen ihr und ihren Kindern bestand, widersprach sie schließlich der Namensänderung. Der Vater wurde im Übrigen dazu gar nicht gefragt.

Darin sah das OLG einen schweren Verfahrensfehler. Auch der nicht oder nicht mehr sorgeberechtigte rechtliche Elternteil habe verfassungsrechtlich geschützte Elternrechte. In personenbezogenen Kindschaftssachen kann von einer persönlichen Anhörung der Eltern laut § 160 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen werden, in denen der Zweck der persönlichen Anhörung - nämlich die Gewährung rechtlichen Gehörs und die Aufklärung des Sachverhalts - auch auf andere Weise erreicht werden kann. Ein solcher Ausnahmefall lag hier jedoch nicht vor.

Hinweis: Der gemeinsame Nachname ist ein äußeres Zeichen der persönlichen Bindung zwischen Eltern und Kindern, gerade wenn diese nicht zusammen leben und die Eltern kein Sorgerecht haben. Da mit der beabsichtigten Namensänderung das letzte Band durchtrennt wird, ist diese sorgsam zu prüfen.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 09.05.2023 - 13 WF 6/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)