Vorsorgevollmacht hat Vorrang: Bei innerfamiliärem Streit ist Kontrollbetreuer der Bestellung eines Berufsbetreuers vorzuziehen

Wer für seinen geistigen Ausfall bei Krankheit oder im Alter vorsorgen will, bevorzugt in einer Vorsorgevollmacht oft lieber Familienangehörige, als sein Schicksal in die Hände eines fremden Betreuers zu legen. Dass diese durchaus nachvollziehbare Entscheidung aber keine Garantie dafür gibt, dass alles reibungsfrei abläuft, beweist auch der folgende Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

Wer für seinen geistigen Ausfall bei Krankheit oder im Alter vorsorgen will, bevorzugt in einer Vorsorgevollmacht oft lieber Familienangehörige, als sein Schicksal in die Hände eines fremden Betreuers zu legen. Dass diese durchaus nachvollziehbare Entscheidung aber keine Garantie dafür gibt, dass alles reibungsfrei abläuft, beweist auch der folgende Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

Hier waren Tochter und Enkel zur Betreuung bevollmächtigt. Zwischen den beiden kam es aber zu einem Zerwürfnis und zu Uneinigkeit, wo die Mutter bzw. die Oma gepflegt werden sollte. Und so blockierten sich die beiden gegenseitig. Da der Pflegedienst zudem gegen den Enkel Strafanzeige erstattet hatte -  worüber noch nicht entschieden war -, bestellte das Betreuungsgericht eine Berufsbetreuerin. Das zuständige Landgericht bestätigte diesen Schritt, der BGH hob ihn wieder auf.

Es komme laut BGH nämlich nicht darauf an, ob die Berufsbetreuerin objektiv besser geeignet wäre. Die grundsätzliche Entscheidung der Betroffenen gegen die Fremdbetreuung und für die Familienvollmacht sei zu respektieren. Ferner müssen "mildere Mittel" geprüft werden, bevor eine Vorsorgevollmacht entzogen wird. Der entsprechende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf die Bevollmächtigten positiv einzuwirken. Ein solcher Kontrollbetreuer kann Auskünfte verlangen und Weisungen erteilen. Außerdem kann das Betreuungsgericht gemäß § 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch auch unmittelbar zwischen zwei gleichrangig Bevollmächtigten regeln, wer in einer konkreten Frage allein entscheiden darf.

Hinweis: Der BGH nutzte die Entscheidung, um erneut zu bekräftigen, dass das Betreuungsgericht ohne persönlichen Kontakt zum Betroffenen nichts entscheiden darf, auch wenn der Begriff "Anhörung" unpassend sei, wenn sich der Betroffene nicht mehr äußern könne.
 
 
 


Quelle: BGH, Beschl. v. 29.03.2023 - XII ZB 515/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Kein Erbarmen beim Mindestunterhalt: Für Kindesunterhalt muss der Vater 48 Wochenstunden arbeiten

Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat erneut schlüssig dargelegt, dass der Mindestunterhalt für Kinder seinen Namen zu Recht trägt. Denn dieser Mindestunterhalt stelle schließlich den Betrag dar, der laut "Düsseldorfer Unterhaltstabelle" mindestens geschuldet sei. Und weniger als mindestens ist nur in den seltensten Ausnahmen möglich.

Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hat erneut schlüssig dargelegt, dass der Mindestunterhalt für Kinder seinen Namen zu Recht trägt. Denn dieser Mindestunterhalt stelle schließlich den Betrag dar, der laut "Düsseldorfer Unterhaltstabelle" mindestens geschuldet sei. Und weniger als mindestens ist nur in den seltensten Ausnahmen möglich.

Das musste auch ein selbständiger Fliesenleger (Einmannbetrieb) lernen, der mit seinem Gewerbe lediglich rund 1.800 EUR netto im Monat erzielte. Nach eigenen Angaben werde sich hieran auch zukünftig nichts ändern. Für den Mindestunterhalt seiner drei Kinder reiche das rechnerisch nicht - er sei ein sogenannter Mangelfall.

Auf sein tatsächliches Einkommen konnte er sich laut OLG aber nicht zurückziehen, da ihn gegenüber den minderjährigen Kindern eine verschärfte Erwerbsobliegenheit trifft (§ 1603 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Deshalb hätte er 48 Wochenstunden, das Maximum nach §§ 3, 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG), arbeiten müssen. Wenn die Erhöhung seines zeitlichen Einsatzes als Selbständiger nicht den erforderlichen Ertrag bringe, hätte er sich für die Wochenenden, an denen er die Kinder nicht zu Besuch hatte, eine Nebenbeschäftigung mit täglich acht Stunden zum Mindestlohn suchen müssen. Wenn das immer noch nicht reiche, sei es ihm zumutbar, seine selbständige Tätigkeit ganz aufzugeben und eine abhängige Arbeit aufzunehmen. Das OLG recherchierte im Internet: Als angestellter Fliesenleger hätte der Vater bei einer laut ArbZG zulässigen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden ein Monatseinkommen von rund 3.536 EUR brutto erwirtschaften können - das hätte für den Mindestunterhalt der drei Kinder gereicht. Also egal wie: Zum Mindestunterhalt wurde er verurteilt.

Hinweis: Einem selbständigen Unternehmer, der aus seinem Einkommen nicht den Mindestunterhalt für seine Kinder erwirtschaften kann, können die Aufgabe des Unternehmens und die Aufnahme einer abhängigen Arbeit zugemutet werden, wenn er sonst auf längere Zeit nicht zu Mindestunterhaltsleistungen in der Lage ist. Regelmäßig seien drei bis sechs Monate ausreichend für das Auffinden einer entsprechenden Arbeitsmöglichkeit, für die anschließende Zeit wird mit einem fiktiv erzielbaren Einkommen gerechnet.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 28.04.2023 - 13 UF 79/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Verfahrenskostenhilfe für Notarvertrag: OLG bestätigt allseitiges Interesse an einer Einigung ohne streitiges Verfahren

Auch wenn jemand "arm im Sinne des Gesetzes" ist und damit Verfahrenskostenhilfe (VKH) für sein Scheidungsverfahren bekommt, kann ein zusätzlicher Notarvertrag sinnvoll sein. So war es im Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg: Die Eheleute wollten sich über ihre Vermögensauseinandersetzung (Zugewinnausgleich) und den Unterhalt nicht vor Gericht streiten, sondern fanden mithilfe ihrer Anwälte eine außergerichtliche Lösung, die ein Notar beurkundete.

Auch wenn jemand "arm im Sinne des Gesetzes" ist und damit Verfahrenskostenhilfe (VKH) für sein Scheidungsverfahren bekommt, kann ein zusätzlicher Notarvertrag sinnvoll sein. So war es im Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg: Die Eheleute wollten sich über ihre Vermögensauseinandersetzung (Zugewinnausgleich) und den Unterhalt nicht vor Gericht streiten, sondern fanden mithilfe ihrer Anwälte eine außergerichtliche Lösung, die ein Notar beurkundete.

Das Amtsgericht verweigerte allerdings, die hierfür entstandenen Anwaltskosten auch im Rahmen der VKH zu übernehmen, und begründete das damit, dass die Folgesachen "Zugewinn und Unterhalt" nicht im Gerichtsverfahren anhängig waren. Die Eheleute hätten "pro forma" entsprechende Anträge gegeneinander bei Gericht stellen sollen, bevor sie sich einigen - dann hätte kein Hindernis bestanden, auch die Anwaltskosten dafür abzurechnen.

Das OLG Oldenburg befand diese Ansicht wie bereits andere OLGs zuvor als unsinnig. Es sei ja im allseitigen Interesse - auch des Gerichts -, wenn Eheleute ihre wirtschaftliche Entflechtung ohne streitiges Verfahren regeln und dabei von Anwälten unterstützt werden. Demzufolge wäre es eine Ungleichbehandlung der "armen" Bevölkerung, wenn der Staat nur das Streiten finanzieren würde, nicht das Einigen. Der Anspruch ergibt sich - leider nicht ganz ausdrücklich - aus § 48 Abs. 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.

Hinweis: Allerdings muss die Tätigkeit während des Scheidungsverfahrens anfallen - ein vorsorglicher Trennungsfolgenvertrag, bevor die Scheidung eingereicht wird, könnte nicht auf diese Weise über die VKH abgerechnet werden.


Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.06.2023 - 13 WF 42/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Kein rückwirkender Unterhalt: Mahnung durch das Jobcenter löst keinen Verzug aus

Vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG) ging es um den Unterhalt für ein volljähriges Kind von Februar bis Oktober. Und so bitter es für den jungen Mann auch war: Hier zeigte sich eine der Folgen des Erwachsenwerdens - der Dschungel an zwingenden Abläufen, die es zu berücksichtigen gilt, um seine Ansprüche geltend zu machen.

Vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG) ging es um den Unterhalt für ein volljähriges Kind von Februar bis Oktober. Und so bitter es für den jungen Mann auch war: Hier zeigte sich eine der Folgen des Erwachsenwerdens - der Dschungel an zwingenden Abläufen, die es zu berücksichtigen gilt, um seine Ansprüche geltend zu machen.

Zunächst hatte der junge Mann noch das Gymnasium besucht. Zwischen dem Abitur im Juni und dem Studienbeginn im Oktober hatte er nicht gearbeitet. Im gesamten Zeitraum hatte er mit seiner Mutter von Leistungen des Jobcenters gelebt. Diese Hilfegewährung wurde allerdings nur vorläufig gewährt, da noch nicht abschließend geprüft worden war, ob die Bedarfsgemeinschaft über Ersparnisse verfügte. Parallel dazu hatte das Jobcenter die Unterhaltsansprüche gegen den Vater geprüft - zu entsprechenden Zahlungen war es aber nicht gekommen. Das Jobcenter forderte schließlich die Leistungen von Mutter und Sohn zurück, weil die Bedarfsgemeinschaft doch nicht bedürftig gewesen sei. Daraufhin verklagte der Sohn seinen Vater auf Ausbildungsunterhalt für diesen zurückliegenden Zeitraum.

Im ersten Schritt traf das OLG für den Sohn durchweg positive Feststellungen; für ihn habe für den gesamten Zeitraum druchaus ein Unterhaltsanspruch bestanden, zunächst als Schüler "privilegiert", dann zwischen Abitur und Studium ohne Pflicht zu eigener Erwerbstätigkeit und schließlich auch noch als Student. Im zweiten Schritt brachte das OLG gleichwohl den Zahlungsanspruch des Sohns zu Fall - und zwar wegen des gesetzlichen Forderungsübergangs aus § 33 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch. Indem das Jobcenter seinen Lebensunterhalt gesichert hatte, hatte der junge Mann den Anspruch an die Behörde verloren. Es war richtig gewesen, dass das Jobcenter mit dem Vater Schriftverkehr über dessen Leistungsfähigkeit führte. Dieser Anspruch fiel aber nicht automatisch an den Sohn zurück, als das Jobcenter die Bewilligung aufhob und die Leistungen zurückforderte. Da es eine solche gesetzliche Regelung schlichtweg nicht gibt, hätte eine vertragliche Rückabtretung erfolgen müssen. Aber selbst die hätte dem Sohn nicht geholfen, denn er selbst hatte seinen Vater nie in Verzug gesetzt - sprich wegen des Unterhalts angeschrieben. Dass das Jobcenter den Vater in Verzug gesetzt hatte, während der Anspruch dorthin übergegangen war, half dem Sohn überraschenderweise nicht -  ohne Verzug also keine Zahlungspflicht.

Hinweis: Die Entscheidung zeigt, dass Hilfeempfänger vorläufiger Leistungen nicht unterlassen dürfen, ihren Unterhaltsanspruch vorsorglich selbst geltend zu machen, damit sie in dem Fall, dass ihnen die Hilfe nachträglich wieder entzogen wird, auf die Inverzugsetzung zurückgreifen können.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 22.06.2023 - 13 UF 80/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Eindeutiges Abhängigkeitsverhältnis: Kanzleiinhaber beschäftigt scheinselbständige Rechtsanwälte

Immer, wenn es um Scheinselbständigkeit geht, wird es für den entsprechenden Auftrag- oder Arbeitgeber im Nachhinein meistens richtig teuer. Im folgenden Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging, handelte es sich um einen Rechtsanwalt - und der hätte besser wissen müssen, welche Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit sprechen.

Immer, wenn es um Scheinselbständigkeit geht, wird es für den entsprechenden Auftrag- oder Arbeitgeber im Nachhinein meistens richtig teuer. Im folgenden Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging, handelte es sich um einen Rechtsanwalt - und der hätte besser wissen müssen, welche Anhaltspunkte für eine Scheinselbständigkeit sprechen.

Ein seit 1982 niedergelassener Rechtsanwalt beschäftigte als Alleininhaber seiner Kanzlei zwölf Anwälte als selbständige freie Mitarbeiter. Vor Beginn ihrer Kanzleitätigkeit schloss er mit den Rechtsanwälten einen schriftlichen Vertrag über eine Zusammenarbeit und eine weitere schriftliche Zusatzvereinbarung. Im Mitarbeitervertrag war geregelt, dass der jeweilige Rechtsanwalt seine Sozialabgaben selbst abführt, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durfte. Ebenso war dieser berechtigt, das vereinbarte Jahresgehalt in monatlichen Teilbeträgen abzurufen. Die Zusatzvereinbarung sah dann aber vor, dass die Beschäftigung eigenen Personals und die Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei der Zustimmung der Kanzlei bedurften und Werbemaßnahmen abzustimmen und zu genehmigen waren. Sofern sie keine Termine wahrzunehmen hatten, arbeiteten die Anwälte in den Kanzleiräumen und waren nur für den Kanzleiinhaber tätig, der ihnen auch die zu bearbeitenden Mandate zuwies.

Das vorinstanzliche Landgericht verurteilte den Anwalt wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 189 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Daneben hat es eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 EUR verhängt sowie die Einziehung der Erträge aus der Tat in Höhe von ca. 120.000 EUR angeordnet.

Vom BGH wurde das Urteil bestätigt. Es bestanden zwischen dem Rechtsanwalt und seinen zwölf angestellten Anwälten sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die vertraglichen Vereinbarungen - insbesondere aber die tatsächlichen Gegebenheiten und das Fehlen jedweden unternehmerischen Risikos - belegten, dass die Rechtsanwälte ihre Tätigkeit nicht als selbständige freie Mitarbeiter, sondern als abhängig Beschäftigte ausgeübt hatten.

Hinweis: Der Rechtsanwalt hatte sich also strafbar gemacht. Neben den strafrechtlichen Folgen und der Abschöpfung des Gewinns muss er auch noch befürchten, Sozialversicherungsbeiträge für die angestellten Anwälte zahlen zu müssen.


Quelle: BGH, Urt. v. 08.03.2023 - 1 StR 188/22
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Mindesteinsatzquote verpasst: Keine Vertragsverlängerung durch Saisonabbruch aufgrund der Pandemie in der Regionalliga

Der vorzeitige Abbruch einer Spielsaison wegen Corona führte auch bei einigen Fußballern zu konkreten wirtschaftlichen Folgen. Ein Spieler klagte sich durch die Instanzen bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG). Er war der Meinung, dass ihm die Pandemie verwehrte, seine Mindesteinsatzquote zu erfüllen, um eine weitere Spielzeit unter Vertrag genommen zu werden.

Der vorzeitige Abbruch einer Spielsaison wegen Corona führte auch bei einigen Fußballern zu konkreten wirtschaftlichen Folgen. Ein Spieler klagte sich durch die Instanzen bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG). Er war der Meinung, dass ihm die Pandemie verwehrte, seine Mindesteinsatzquote zu erfüllen, um eine weitere Spielzeit unter Vertrag genommen zu werden.

Der Fußballer schloss einen für die Zeit vom 01.09.2019 bis zum 30.06.2020 befristeten Arbeitsvertrag als Profifußballer und Vertragsspieler mit einem Verein für dessen in der Regionalliga Südwest spielende erste Mannschaft. Nach einer Regelung im Vertrag sollte sich dieser Vertrag um eine weitere Spielzeit verlängern, wenn der Spieler auf mindestens 15 Einsätze von mindestens 45 Minuten in Meisterschaftsspielen kommt. Bis zum 15.02.2020 absolvierte der Profi zwölf Einsätze. Danach wurde er aufgrund einer aus sportlichen Gründen getroffenen Entscheidung des neu berufenen Trainerteams nicht mehr eingesetzt. Ab Mitte März 2020 fand pandemiebedingt kein Spielbetrieb mehr statt. Am 26.05.2020 wurde die ursprünglich mit 34 Spieltagen geplante Saison vorzeitig beendet. Der Fußballer war nun der Auffassung, dass sich sein Vertrag um eine Spielzeit bis zum 30.06.2021 verlängert habe. Die vereinbarte Bedingung hierfür sei angesichts des ungeplanten Saisonabbruchs bereits aufgrund seiner zwölf Spieleinsätze eingetreten. Hätten die Parteien das pandemiebedingte vorzeitige Ende der Spielzeit vorhergesehen, hätten sie eine an die tatsächliche Zahl von Spieltagen angepasste verringerte Mindesteinsatzzahl oder auch nur eine Mindesteinsatzquote vereinbart.

Sämtliche Arbeitsgerichte sahen das anders - und so auch das BAG. Die entsprechende Klausel gilt in Arbeitsverträgen mit Profifußballern als üblich und musste nicht wegen der Pandemie korrigiert oder angepasst werden.

Hinweis: Ob die Klausel überhaupt wirksam war, haben die Richter nicht entschieden. Nach ihrer Ansicht lagen schon die Voraussetzungen für die Vertragsverlängerung nach 15 Einsätzen nicht vor.


Quelle: BAG, Urt. v. 24.05.2023 - 7 AZR 169/22
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Auch ohne Sorgerecht: Leibliche Eltern müssen bei Änderung des Nachnamens beteiligt werden

Auch wenn Eltern ihr Sorgerecht verloren haben, muss das Familiengericht sie bei wichtigen Entscheidungen über die Kinder am Verfahren beteiligen. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) ging es dabei um den Wunsch einer Pflegefamilie, gemeinsam mit ihren Pflegekindern denselben Nachnamen tragen zu dürfen. Doch wer meint, "sorgerechtslos" bedeute, dass die leiblichen Eltern bezüglich ihrer Kinder völlig rechtlos seien, irrt besonders, wenn es um das "letzte Band" der Zugehörigkeit geht.

Auch wenn Eltern ihr Sorgerecht verloren haben, muss das Familiengericht sie bei wichtigen Entscheidungen über die Kinder am Verfahren beteiligen. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) ging es dabei um den Wunsch einer Pflegefamilie, gemeinsam mit ihren Pflegekindern denselben Nachnamen tragen zu dürfen. Doch wer meint, "sorgerechtslos" bedeute, dass die leiblichen Eltern bezüglich ihrer Kinder völlig rechtlos seien, irrt besonders, wenn es um das "letzte Band" der Zugehörigkeit geht.

Die zwölfjährigen Zwillinge, deren Sorgerecht die ursprünglich allein sorgeberechtigte Mutter bereits seit langem verloren hatte, wohnten seit ihrem dritten Lebensjahr bei einer Pflegefamilie. Der Vormund wollte erreichen, dass die Kinder - auch auf eigenen Wunsch - den Nachnamen der Pflegefamilie tragen dürfen. Die Mutter teilte mit, sie könne nur damit einverstanden sein, wenn sie mit den Kindern über ihren Wunsch sprechen dürfe. Da aber seit Jahren kein Kontakt mehr zwischen ihr und ihren Kindern bestand, widersprach sie schließlich der Namensänderung. Der Vater wurde im Übrigen dazu gar nicht gefragt.

Darin sah das OLG einen schweren Verfahrensfehler. Auch der nicht oder nicht mehr sorgeberechtigte rechtliche Elternteil habe verfassungsrechtlich geschützte Elternrechte. In personenbezogenen Kindschaftssachen kann von einer persönlichen Anhörung der Eltern laut § 160 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen werden, in denen der Zweck der persönlichen Anhörung - nämlich die Gewährung rechtlichen Gehörs und die Aufklärung des Sachverhalts - auch auf andere Weise erreicht werden kann. Ein solcher Ausnahmefall lag hier jedoch nicht vor.

Hinweis: Der gemeinsame Nachname ist ein äußeres Zeichen der persönlichen Bindung zwischen Eltern und Kindern, gerade wenn diese nicht zusammen leben und die Eltern kein Sorgerecht haben. Da mit der beabsichtigten Namensänderung das letzte Band durchtrennt wird, ist diese sorgsam zu prüfen.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 09.05.2023 - 13 WF 6/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 08/2023)

Dreimonatszeitraum: Ablehnung von Brückenteilzeit bei Nichteinhaltung der Ankündigungsfrist

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Eine Mitarbeiterin beantragte am 22.01. eine Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 33 Stunden für ein Jahr ab dem 01.04. Doch ihr Arbeitgeber meinte, dass der Antrag unwirksam sei, da die Mitarbeiterin die dreimonatige Ankündigungsfrist nicht eingehalten habe. Außerdem lehnte er den Antrag wegen entgegenstehender dringender Betriebsgründe ab. Die Arbeitnehmerin meinte dagegen, ihr Antrag sei so auszulegen, als sei er zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt - nämlich drei Monate nach der Antragstellung. Schließlich klagte sie, doch das vergeblich.

Der Antrag auf Brückenteilzeit musste in Augen des BAG nicht auf einen späteren Beginn umgedeutet werden. Denn ein Arbeitgeber kann bei einem Antrag auf Brückenteilzeit nicht wissen, ob ein Arbeitnehmer die Brückenteilzeit insgesamt nach hinten verschieben will oder ob diese zum ursprünglich beantragten Termin enden soll.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten also genau darauf achten, den Dreimonatszeitraum bei einer Brückenteilzeit einzuhalten. Der Antrag auf Gewährung einer Brückenteilzeit ist mindestens drei Monate vor dem Beginn zu stellen.


Quelle: BAG, Urt. v. 07.09.2021 - 9 AZR 595/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Voneinander unabhängig: Unterschiedliche Verjährung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Die im Jahr 2014 verstorbene Erblasserin hinterließ mehrere Töchter sowie ein Testament, in dem sie eine Tochter sowie eine Enkelin zu Alleinerben eingesetzt hatte. Die nicht bedachten Töchter führten zunächst über mehrere Jahre einen Rechtsstreit vor dem Nachlassgericht im Rahmen der Erteilung eines Erbscheins. Im November 2016 entschied das Nachlassgericht, dass die testamentarische Verfügung der Erblasserin wirksam war, und erteilte einen entsprechenden Erbschein. Letztlich rechtskräftig wurde diese Entscheidung im Jahr 2019.

In einem Folgeprozess im September 2020 machten die nicht bedachten Töchter Auskunftsansprüche gegenüber den Erben zur Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen und Pflichtteilsergänzungsansprüchen geltend. Bei den Pflichtteilergänzungsansprüchen ging es insbesondere um mögliche ausgleichspflichtige Schenkungen zu Lebzeiten der Erblasserin. Die Erben beriefen sich darauf, dass entsprechende Auskunftsansprüche verjährt seien, was das OLG zumindest teilweise bestätigt hat. Zu unterscheiden war zwischen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Grundsätzlich gilt auch für Ansprüche aus der Erbschaft, dass diese nach drei Jahren verjähren. Die Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall, von der ihn beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung und von der Person des Erben erlangt hat oder zumindest hätte erlangen können.

Bezüglich der Pflichtteilsansprüche stellt das OLG auf den Beschluss des Nachlassgerichts im November 2016 ab. Die drei Voraussetzungen - insbesondere die Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung - hatten die Töchter damit bereits im November 2016 mit der Entscheidung des Nachlassgerichts. Entsprechende Ansprüche verjährten damit mit Ablauf des 31.12.2019, also vor Klageerhebung. Nicht verjährt waren hingegen die Pflichtteilsergänzungsansprüche. Die Parteien stritten um die Frage von ausgleichspflichtigen Schenkungen durch die Erblasserin, wobei zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Erben nicht eingewandt haben, dass die Töchter Kenntnis von den Schenkungen gehabt hätten. Insoweit bejahte das Gericht den Auskunftsanspruch der Pflichtteilsberechtigten.

Hinweis: Die Verjährung muss als sogenannte Einrede ausdrücklich geltend gemacht werden. Sie wird nicht zwangsläufig im Rahmen eines Rechtsstreits von einem Gericht berücksichtigt.


Quelle: OLG München, Urt. v. 22.11.2021 - 33 U 2768/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Ermittlung ortsüblicher Vergleichsmieten: Selbstfinanzierte Ausstattung der Mietsache muss dauerhaft unberücksichtigt bleiben

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Eine Vermieterin verlangte eine Mieterhöhung für eine im Jahr 1918 erbaute Wohnung. Bei der Berechnung des Erhöhungsbetrags ging sie davon aus, dass die Wohnung mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet ist. Die Mieterin entgegnete jedoch, dass sie selbst die Zentralheizung damals eingebaut habe. Das müsse bei der Berechnung der Vergleichsmiete als Grundlage der Erhöhung entsprechende Berücksichtigung finden.

Das sah das AG ebenfalls so. Eine vom Mieter auf eigene Kosten geschaffene Ausstattung der Mietsache - wie hier die Heizung - bleibt bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete grundsätzlich auf Dauer unberücksichtigt.

Hinweis: Eine Mieterhöhung ist kein Buch mit sieben Siegeln. Im Zweifel kann ein Rechtsanwalt helfen und ein rechtssicheres Mieterhöhungsschreiben verfassen.


Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 29.10.2021 - 49 C 119/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)