Alleinige Sorge: Häusliche Gewalt und Todesdrohungen kosten das Sorgerecht

Trennen sich Eltern, wird das Sorgerecht für die Kinder oft trotz Trennung gemeinsam ausgeübt. In Einzelfällen kann die Übertragung der alleinigen Sorge auf einen Elternteil angezeigt sein. So ein Einzelfall liegt vor, wenn Gewalt und Drohungen des einen Elternteils gegen den anderen Elternteil ausgesprochen und ausgeübt werden. Das folgt aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Trennen sich Eltern, wird das Sorgerecht für die Kinder oft trotz Trennung gemeinsam ausgeübt. In Einzelfällen kann die Übertragung der alleinigen Sorge auf einen Elternteil angezeigt sein. So ein Einzelfall liegt vor, wenn Gewalt und Drohungen des einen Elternteils gegen den anderen Elternteil ausgesprochen und ausgeübt werden. Das folgt aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Die Eltern zweier Kinder haben sich scheiden lassen. Seit der Trennung im Jahr 2020 leben die Kinder im Haushalt der Mutter. Die Mutter hatte gegen den Vater im Jahr 2021 und erneut ab Ende 2023 ein jeweils halbjähriges Näherungs- und Kontaktverbot erwirkt. Zudem wurde ihr die alleinige elterliche Sorge übertragen. Gegen die Übertragung legte der Vater Beschwerde ein - erfolglos.

Beantragt ein Elternteil die Übertragung der alleinigen Sorge auf sich, sind alle für und gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Hier hatte der Vater die Mutter in der Vergangenheit körperlich angegriffen und verletzt. Wiederholt äußerte er Todesdrohungen. Es erfolgten Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz. Demnach besteht zwischen den Eltern keine tragfähige soziale Beziehung mehr. Eine Kommunikation und Verständigung zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist laut Auffassung des OLG somit nicht mehr möglich. Der Mutter ist es dabei auch nicht zumutbar, sich mit dem Vater in sorgerechtlichen Fragen abzustimmen. Entscheidend ist zudem der Wille der Kinder - und diese haben sich nach den Gewalterfahrungen für die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter ausgesprochen. Mildere, gleich effektive Mittel als die Übertragung auf die Mutter gibt es hier nicht. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Hinweis: Wer die alleinige Sorge für seine Kinder beantragen will, muss darlegen, warum eine gemeinsame Erziehung nicht mehr möglich ist. Weniger scharfe Maßnahmen dürfen nicht zur Verfügung stehen.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 10.09.2024 - 6 UF 144/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Korrekter Absender erkennbar: Wann eine Kündigung mit falschem Firmenstempel dennoch wirksam ist

Das Einhalten von Formalien bei einer gerichtlichen Bewertung ist nicht nur von Vorteil, sondern kann bei Unterlassung auch böse Folgen haben. Im Fall vor dem Arbeitsgericht Suhl (ArbG) hatte der Arbeitgeber Glück, dass seine Kündigung eines Arbeitnehmers aus formellen Gründen nicht unwirksam war.

Das Einhalten von Formalien bei einer gerichtlichen Bewertung ist nicht nur von Vorteil, sondern kann bei Unterlassung auch böse Folgen haben. Im Fall vor dem Arbeitsgericht Suhl (ArbG) hatte der Arbeitgeber Glück, dass seine Kündigung eines Arbeitnehmers aus formellen Gründen nicht unwirksam war.

Ein Arbeitnehmer war bei der "P. KG" beschäftigt und wurde in der Probezeit entlassen. Das Kündigungsschreiben enthielt in der Kopfzeile den Namen und die Anschrift des Arbeitgebers. In der Unterschriftenzeile befand sich der Name des Arbeitgebers ergänzt um den Abdruck eines Firmenstempels der  "P.H.E. GmbH".  Das nahm der Arbeitnehmer zum Anlass, um gegen die Kündigung zu klagen. Er meinte, mit der der "P.H.E. GmbH" habe er keinen Vertrag gehabt. Durch Verwendung des falschen Stempels sei die Kündigung daher unwirksam. Der Arbeitnehmer zog vor Gericht, verlor allerdings seine Klage.

Der falsche Firmenstempel mache eine Kündigung in den Augen des ArbG nicht gleich unwirksam. Denn der Aussteller der Kündigung war sowohl über die Kopfzeile als auch durch das Unterschriftenfeld erkennbar. Wenngleich offensichtlich der falsche Firmenstempel verwendet wurde, war der Aussteller dennoch erkennbar. Der falsche Stempel machte die Kündigung also nicht unwirksam.

Hinweis: Möchte jemand eine Kündigung aussprechen, sind die Formalien einzuhalten. Das gilt insbesondere für die Schriftform der Kündigung. Jede Kündigung, egal ob vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber, muss handschriftlich unterschrieben sein.


Quelle: ArbG Suhl, Urt. v. 14.08.2024 - 6 Ca 96/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Änderungsbereitschaft vorausgesetzt: Teilnahme an Antigewalttraining kann nicht einfach vollstreckt werden

Da ein Familienvater seine Wut nicht unter Kontrolle hatte, wurde ihm aufgegeben, an einem neunmonatigen Antiaggressionstraining teilzunehmen. Weil er diesem nicht nachkam, war es schließlich am Kammergericht in Berlin (KG), die Möglichkeit einer Vollstreckbarkeit zu prüfen.

Da ein Familienvater seine Wut nicht unter Kontrolle hatte, wurde ihm aufgegeben, an einem neunmonatigen Antiaggressionstraining teilzunehmen. Weil er diesem nicht nachkam, war es schließlich am Kammergericht in Berlin (KG), die Möglichkeit einer Vollstreckbarkeit zu prüfen.

Zwischen dem Vater zweier Kinder und der Kindsmutter war es in der Vergangenheit im Beisein der beiden Kinder immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Ein Kind wurde sogar von einer vom Vater getretenen Plastikflasche am Kopf getroffen. Deswegen wurde der Vater wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Auch die Polizei wurde schon zur elterlichen Wohnung gerufen. Inzwischen haben sich die Eltern getrennt.

Das Familiengericht (FamG) ordnete für den Vater schließlich die Teilnahme an einem Antiaggressionstraining über neun Monate an, da es eine Kindeswohlgefährdung (§ 1666 Bürgerliches Gesetzbuch) annahm. Doch der Mann weigerte sich, an dieser Maßnahme teilzunehmen. Also wurden ihm Zwangsmittel zur Vollstreckung der Auflage in Form von Zwangsgeld von 500 EUR oder ersatzweise einem Tag Zwangshaft pro 100 EUR angedroht. Dagegen legte er sofortige Beschwerde ein.

Mit seiner Beschwerde hatte er Erfolg. Das KG hob die Zwangsmittelandrohung auf. Die Teilnahme an Beratungsangeboten kann grundsätzlich nicht erzwungen werden. Das regeln § 156 Abs. 1 Satz 4 und 5 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für verfahrensrechtlich erlassene Beratungsauflagen. Zu diesen Beratungsauflagen gehört auch die Teilnahme an einem Antigewalttraining. Auch war die Auflage nicht hinreichend bestimmt, weil keine bestimmte Anzahl von Beratungsterminen genannt worden war.

Hinweis: Wird eine Anordnung zur Teilnahme an einem Gewaltschutztraining erlassen, kann diese nicht vollstreckt werden, wenn der Beschwerte der Maßnahme nicht nachkommt. Eine Vollstreckung kommt nur in Frage, wenn eine konkrete Zahl an Beratungsterminen genannt und beim Beschwerten eine Änderungsbereitschaft zu erkennen ist.


Quelle: KG, Beschl. v. 20.08.2024 - 17 WF 87/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Alleinige Sorge: Beschwerdegericht hat weiten Ermessenspielraum bei Eilanträgen

Wenn es um die Regelung des Sorgerechts geht, können Eltern schwer mit gerichtlichen Entscheidungen umgehen und versuchen, diese im Wege eines Eilverfahrens zu stoppen. Das ist aber nicht immer von Erfolg gekrönt, weil Gerichte - wie das Oberlandesgericht Rostock (OLG) im folgenden Fall - hier einen weiten Entscheidungsspielraum haben.

Wenn es um die Regelung des Sorgerechts geht, können Eltern schwer mit gerichtlichen Entscheidungen umgehen und versuchen, diese im Wege eines Eilverfahrens zu stoppen. Das ist aber nicht immer von Erfolg gekrönt, weil Gerichte - wie das Oberlandesgericht Rostock (OLG) im folgenden Fall - hier einen weiten Entscheidungsspielraum haben.

Die Eltern eines zehnjährigen Kindes stritten um die elterliche Sorge. Der Kindesvater, der an jedem zweiten Wochenende von Mittwoch bis Montag Umgang mit seinem Sohn pflegte, beantragte nun, die elterliche Sorge auf sich allein zu übertragen. Auch wollte er unter seiner Adresse den Hauptwohnsitz seines Sohns an- bzw. ummelden. Zur Begründung verwies der Kindesvater auf massive Konflikte mit der Mutter. Sein Antrag hatte keinen Erfolg -  im Gegenteil: Das Amtsgericht entzog beiden Elternteilen das Recht der Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Regelung der Freizeitaktivitäten, ordnete insofern Ergänzungspflegschaft an und übertrug die entzogenen Rechte auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten übertrug es auf die Kindsmutter. Dagegen legte der Vater Beschwerde ein und beantragte, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses vorläufig auszusetzen.

Der Vater scheiterte mit seinem Eilantrag vor dem OLG. Das Gericht müsse schließlich bei seiner Entscheidung stets abwägen, welche Folgen eine Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben kann. Klar sei, dass über kurz oder lang das Sorgerecht allein auf einen Elternteil übertragen werden müsse, da die Eltern sich hier offensichtlich nicht mehr einigen können und das Kind zu zerreiben drohen. Insofern kann aber keine Entscheidung im Eilverfahren über das Sorgerecht getroffen werden, da man ein Hin und Her für das Kind vermeiden will und lieber gleich eine abschließende Entscheidung getroffen werden muss.

Hinweis: Über allem steht das Kindeswohl. Ein Eilantrag kann in Familiensachen nur dann erfolgreich sein, wenn durch die Entscheidung keine zusätzlichen Belastungen für das Kind hervorgerufen werden.


Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 01.08.2024 - 10 UF 74/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Festgelegt statt verhandelt: Einseitig beschlossene variable Vergütung zieht Schadensersatzansprüche nach sich

Viele Arbeitnehmer erhalten variable Vergütungen wie Boni oder Prämien. Darauf freute sich auch der Arbeitnehmer in diesem Fall. Doch stattdessen musste er sich nun bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) klagen, um dort feststellen zu lassen, dass seine Arbeitgeberin ihm gegenüber schadensersatzpflichtig geworden ist.

Viele Arbeitnehmer erhalten variable Vergütungen wie Boni oder Prämien. Darauf freute sich auch der Arbeitnehmer in diesem Fall. Doch stattdessen musste er sich nun bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) klagen, um dort feststellen zu lassen, dass seine Arbeitgeberin ihm gegenüber schadensersatzpflichtig geworden ist.

Der Mann hatte seine neue Stelle als Director Development im Bereich Schiffe angetreten. Für seine Tätigkeit sollte er ein Grundgehalt sowie eine erfolgsabhängige variable Vergütung erhalten. Sein Arbeitsvertrag regelte, dass die Ziele, die für das Erreichen der variablen Vergütung erforderlich sind, jedes Jahr neu von der Arbeitgeberin und ihm festgelegt werden. Erstmals sollte das entsprechende Gespräch zum Ende der Probezeit geführt werden. Allerdings kam es bereits kurz nach Ende der Probezeit zu Unstimmigkeiten zwischen beiden Parteien. Der Arbeitnehmer forderte seine Arbeitgeberin daraufhin auf, mit ihm über die Zielvereinbarung zu verhandeln. Die Verhandlungen wurden geführt - jedoch ohne Ergebnis. Schließlich legte die Arbeitgeberin die Ziele nach eigenem Ermessen fest und begründete dies mit dem Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers, in dem stand: "Sollten die Kriterien nicht zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden, werden diese seitens der Gesellschaft nach billigem Ermessen vorgegeben." Als das Arbeitsverhältnis endete, klagte der Arbeitnehmer auf Schadensersatz.

Das BAG entschied, dass der Arbeitnehmer wegen der entgangenen erfolgsabhängigen variablen Vergütung seiner Arbeitgeberin gegenüber einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von rund 83.000 EUR hat. In seiner Begründung stellte das Gericht darauf ab, dass die Arbeitgeberin ihrer Pflicht, die Ziele mit dem Arbeitnehmer zu verhandeln und eine Zielvereinbarung für das Jahr abzuschließen, unstreitig nicht nachgekommen sei und damit schadensersatzpflichtig wurde. Die Richter stellten klar, dass die Arbeitgeberin die Ziele nicht einseitig festlegen durfte, da die entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag unwirksam sei: Sie benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch), da sie der Arbeitgeberin ermögliche, die vertraglich vereinbarte Rangfolge von Zielvereinbarung und Zielvorgabe zu unterlaufen.

Hinweis: Haben sich die Vertragsparteien im Arbeitsvertrag verpflichtet, die Ziele gemeinsam festzulegen, hat sich auch der Arbeitgeber daran zu halten. Er ist in einem solchen Fall verpflichtet, mit dem Beschäftigten Verhandlungen zu führen.


Quelle: BAG, Urt. v. 03.07.2024 - 10 AZR 171/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Mutterschutz geht vor: Wird Urlaub in der Elternzeit nicht aktiv gekürzt, besteht er weiter

Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) regelt, dass eine Frau, die ihren Urlaub vor Antritt des Mutterschutzes nicht oder nur unvollständig nehmen konnte, diesen noch nach dem Mutterschutz im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen kann. Eine ähnliche Regelung findet sich beim Erziehungsurlaub im Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG). Die Konsequenz bekam ein Arbeitgeber, der sich auf das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) berief, vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) vor Augen geführt.

Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) regelt, dass eine Frau, die ihren Urlaub vor Antritt des Mutterschutzes nicht oder nur unvollständig nehmen konnte, diesen noch nach dem Mutterschutz im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen kann. Eine ähnliche Regelung findet sich beim Erziehungsurlaub im Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG). Die Konsequenz bekam ein Arbeitgeber, der sich auf das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) berief, vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) vor Augen geführt.

Eine Therapeutin hatte arbeitsvertraglich einen Jahresurlaub von 29 Arbeitstagen. Nach mehreren Geburten befand sie sich bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im November 2020 in Mutterschutz bzw. Elternzeit. Der Arbeitgeber hatte den Urlaub in der Elternzeit nicht gekürzt. Somit forderte die Therapeutin eine Abgeltung von 146 Urlaubstagen, also rund 25.000 EUR brutto. Der Arbeitgeber hingegen hielt den Urlaub für verfallen.

Das BAG urteilte eindeutig: Zwar verfällt Urlaub nach dem BUrlG grundsätzlich am 31.12. des laufenden Jahres - die Regelungen im MuSchG und BEEG gehen diesem Grundsatz aber als Spezialregelungen vor, hemmen also den Verfall des Urlaubs. Der Arbeitgeber hatte hier also das Nachsehen und musste die eingeklagte Urlaubsabgeltung an die Therapeutin bezahlen.

Hinweis: Mutterschutz und Elternzeit gehen nicht auf Kosten des Urlaubs der Arbeitnehmer. Während der Elternzeit dürfen Arbeitgeber den Urlaub für jeden vollen Monat der Elternzeit um 1/12 kürzen. Die Kürzungsabsicht müssen sie aber ausdrücklich erklären.


Quelle: BAG, Urt. v. 16.04.2024 - 9 AZR 165/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Verstoß gegen Rücksichtnahmegebot: Vermieterin von E-Scootern haftet für Kosten einer Umsetzung

E-Scooter erregen die Gemüter vieler Verkehrsteilnehmer, und das nicht nur hierzulande. Eines der Probleme ist das kopflos anmutende Abstellen auf Gehwegen, das die Fahrzeuge zu gefährlichen Hindernissen macht. Ein solcher Fall musste nun durch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (VG) entschieden werden - die Frage war: Wer haftet für das Umsetzen eines solchen Scooters?

E-Scooter erregen die Gemüter vieler Verkehrsteilnehmer, und das nicht nur hierzulande. Eines der Probleme ist das kopflos anmutende Abstellen auf Gehwegen, das die Fahrzeuge zu gefährlichen Hindernissen macht. Ein solcher Fall musste nun durch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main (VG) entschieden werden - die Frage war: Wer haftet für das Umsetzen eines solchen Scooters?

Eine Firma vermietet in Frankfurt E-Scooter. Mittels einer App kann der Nutzer das Fahrzeug freischalten und nutzen. So auch in diesem Fall, allerdings wurde der E-Scooter nach der Nutzung derart auf einem Gehweg abgestellt, dass er auf der taktilen Bodenmarkierung für sehbehinderte Personen stand, die diesen als Orientierungshilfe auf dem Gehweg dient. Ein Mitarbeiter der Stadt setzte den E-Scooter daraufhin um. Der Kostenbescheid hierüber betrug 74 EUR und wurde der Vermieterin als Halterin des Fahrzeugs zugestellt. Diese jedoch verweigerte die Zahlung und klagte gegen den Bescheid der Stadt.

Das VG wies die Klage der Vermieterin ab. Das Abstellen auf dem Gehweg stelle einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot dar. Zudem sei dadurch auch die taktile Bodenmarkierung betroffen gewesen. Die Höhe der Kosten sei zudem ebenso gerechtfertigt und ergebe sich aus der Gebührenordnung, die den Betrag als Mindestsumme ausweise. Die Tatsache, dass der Fahrer nicht in Regress genommen werden konnte, entlaste die Halterin nicht.

Hinweis: Die Klägerin - Eigentümerin und Halterin des Rollers - konnte als sogenannte Zustandsstörerin in Anspruch genommen werden und trägt Kosten und Nutzen des Scooters. Daher ist es sachgerecht und am erfolgversprechendsten, sie mit den Kosten des Abschleppvorgangs bzw. des Umsetzens des Rollers zu belangen. Zum Geschäftsmodell der Klägerin gehöre, dass die von ihr über eine App vermieteten Roller von den Mietern de facto überall, auch ordnungswidrig, abgestellt werden können. Die Klägerin hat durch das Inverkehrbringen des Rollers damit die polizeiliche Gefahrenlage mitzuverantworten. Es stehe ihr schließlich frei, die Kosten der Umsetzungsmaßnahme im Rahmen der mietvertraglichen Gestaltung auf die jeweiligen Fahrzeugmieter umzulegen bzw. sie in die allgemeine Preiskalkulation einzupflegen.


Quelle: VG Frankfurt am Main, Urt. v. 03.07.2024 - 12 K 138/24.F
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Betriebsgefahr eines Fahrzeugs: Fahrer eines Lang-Lkw muss sich beim Abbiegen im Zweifelsfall helfen lassen

Ein Lang-Lkw von rund 25 Metern Länge ist nur mit besonderer Sorgfalt sicher durch den Verkehr zu bewegen. Wenn einem aber ein Pkw querkommt, der augenscheinlich besondere Verkehrssituationen nicht erkennen kann (oder will), treffen sich beide zuerst unangenehmerweise auf der Straße und schließlich - wie hier - vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (OLG). Die Frage war, mit welcher Quote die Haftung auf beide Parteien verteilt wird.

Ein Lang-Lkw von rund 25 Metern Länge ist nur mit besonderer Sorgfalt sicher durch den Verkehr zu bewegen. Wenn einem aber ein Pkw querkommt, der augenscheinlich besondere Verkehrssituationen nicht erkennen kann (oder will), treffen sich beide zuerst unangenehmerweise auf der Straße und schließlich - wie hier - vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (OLG). Die Frage war, mit welcher Quote die Haftung auf beide Parteien verteilt wird.

Der Fahrer eines Lang-Lkw wollte rechts abbiegen. Dies jedoch war aufgrund der Größe des Lkw nicht möglich, ohne dafür die zweite Rechtsabbiegerspur mitzubenutzen. Aus diesem Grund hatte sich der Fahrer mittig in die zwei Rechtsabbiegerspuren eingeordnet. Ein Pkw-Fahrer fuhr dennoch links an dem Lkw in der linken der beiden Spuren vorbei und hielt ca. 5 m vor der Haltelinie mit einem Seitenabstand von ca. 75 cm an. Beim Rechtsabbiegen geriet das Zugfahrzeug des Lang-Lkw rund einen Meter in die linke Spur und touchierte den Pkw hinten links. Dessen Halter forderte nun Schadensersatz, den die Versicherung des Brummiefahrers nur teilweise zahlen wollte. Sie war der Ansicht, dass den Pkw-Fahrer ein erhebliches Eigenverschulden treffe. Der Lkw-Fahrer habe aufgrund der Größe seines Fahrzeugs beide Spuren absichtlich "blockiert", um Kollisionen zu vermeiden. Wenn man sich dann dennoch neben ein solches Fahrzeug stelle, sei man an einem Schaden auch selbst schuld.

Das OLG entschied dennoch, dass den Lkw-Fahrer eine Haftungsquote von 75 % treffe. Diese Quote ergebe sich nämlich zum einen aus der weit erhöhten Betriebsgefahr: Der Lang-Lkw sei aufgrund seiner Länge von 25 m schließlich sehr unübersichtlich. Daher habe der Fahrer beide Spuren belegen müssen. Dennoch schwenke das Zugteil um einen Meter nach links aus, wenn rechts abgebogen werde - auch das erhöhe die Betriebsgefahr und sei dem Fahrer auch bekannt. Obwohl er den Zug mittig positionierte, habe er nicht beide Spuren komplett belegen können. Somit war er sich bewusst, dass er einen Teil der linken Spur nicht einsehen kann. Daher habe er die Pflicht gehabt, sich im Zweifel beim Abbiegen einweisen zu lassen. Da sich der Pkw aber der Haltelinie angenähert habe, obwohl er ein erkennbar sehr großes Fahrzeug wahrnehmen konnte, war das Unfallereignis für ihn nicht unabwendbar - daher traf dessen Fahrer eine angemessene Mithaftung von 25 %.

Hinweis: Bei der durchzuführenden Abwägung (§ 17 Abs. 3 Straßenverkehrsgesetz) der jeweiligen Verursachungsbeiträge am Zustandekommen eines Unfalls kommt es entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat. Hierbei ist auch die sogenannte Betriebsgefahr eines Fahrzeugs zu berücksichtigen. Diese kann durch besondere Umstände erhöht sein, beispielsweise durch eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise. Hier war die Betriebsgefahr des Lang-Lkw dadurch erhöht, dass der Anhänger beim Rechtsabbiegen an seiner vorderen linken Ecke nach links ausschwenkt und der Fahrer aus seiner Position nicht beobachten kann, ob hierdurch der nachfolgende Verkehr gefährdet wird.


Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 11.04.2024 - 2 U 176/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Erbe trotz Scheidung: Ohne weitere Regelungen besteht vor Heirat festgelegte Erbeinsetzung weiter

Eine letztwillige Verfügung unter Ehegatten wird unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst worden ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich aber mit dem besonderen Fall beschäftigen, in dem die später geschiedenen Eheleute bereits mehrere Jahre vor ihrer Eheschließung einen gemeinsamen Erbvertrag abgeschlossen und dabei etwas Wichtiges vergessen hatten.

Eine letztwillige Verfügung unter Ehegatten wird unwirksam, wenn die Ehe vor dem Tod des Erblassers aufgelöst worden ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich aber mit dem besonderen Fall beschäftigen, in dem die später geschiedenen Eheleute bereits mehrere Jahre vor ihrer Eheschließung einen gemeinsamen Erbvertrag abgeschlossen und dabei etwas Wichtiges vergessen hatten.

Die beiden hatten zwar Regelungen sowohl für den Fall der Beendigung ihrer Lebensgemeinschaft als auch für die Möglichkeit ihrer Eheschließung und Scheidung für das mitbeurkundete Erwerbsgeschäft einer Immobilie bedacht - bei der wechselseitigen Erbeinsetzung wurden entsprechende Überlegungen oder Regelungen jedoch nicht weiter ausgeführt. Als seine Ex-Gattin verstorben war, stellte sich für den Mann nun die Frage, ob er zum Alleinerben seiner von ihm geschiedenen Frau geworden sei.

Der BGH kam in dieser Konstellation nun zu dem Ergebnis, dass die Erbeinsetzung des Ex-Ehepartners nicht automatisch deshalb unwirksam wird, weil die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Erbvertrags nicht verheiratet oder verlobt waren. Auch fehlende Anhaltspunkte, die einen übereinstimmenden Willen erkennen lassen, dass die Erbeinsetzung im Fall einer späteren Heirat und Scheidung entfallen soll, sprechen dabei nicht für eine beabsichtigte Unwirksamkeit. Trotz rechtskräftiger Scheidung der Ehe wurde die verstorbene Erblasserin daher von ihrem Ex-Mann allein beerbt.

Hinweis: Wird ein Erbvertrag nach der Eheschließung beurkundet, wird gesetzlich vermutet, dass die Erbeinsetzung deshalb erfolgte, weil es sich gerade um den Ehepartner handelt. Greift diese Vermutungsregelung nicht, weil die Beteiligten zu diesem Zeitpunkt weder verheiratet noch verlobt waren, muss im Zusammenhang mit einer Scheidung daran gedacht werden, die bisherigen letztwilligen Verfügungen aufzuheben oder abzuändern.


Quelle: BGH, Beschl. v. 22.05.2024 - IV ZB 26/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)

Terminkontrolle: Einhaltung von Rechtsmittelbegründungsfristen ist durch Rechtsanwalt sicherzustellen

Fristen sind einzuhalten - das gilt besonders in gerichtlichen Verfahren. Fristversäumnisse sind nicht nur ärgerlich, sondern können auch richtig teuer werden, so wie in diesem Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging. Hier hatte der Rechtsanwalt in einem Familienrechtsverfahren eine Rechtsmittelbegründung zu spät eingereicht und die sogenannte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Man ahnt, wie das ausging.

Fristen sind einzuhalten - das gilt besonders in gerichtlichen Verfahren. Fristversäumnisse sind nicht nur ärgerlich, sondern können auch richtig teuer werden, so wie in diesem Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging. Hier hatte der Rechtsanwalt in einem Familienrechtsverfahren eine Rechtsmittelbegründung zu spät eingereicht und die sogenannte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Man ahnt, wie das ausging.

Ein Ehemann wurde verurteilt, seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau den Betrag von 293.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Dieser Beschluss wurde seinem Verfahrensbevollmächtigten am 25.07.2023 zugestellt, die dagegen gerichtete Beschwerde am 24.08.2023 eingereicht. Am 02.10.2023 ging beim Amtsgericht (AG) ein Schriftsatz des Antragsgegners vom selben Tag ein, mit dem dieser die Beschwerde begründete. Das AG leitete den mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Schriftsatz am 04.10.2023 auf elektronischem Weg an das zuständige Oberlandesgericht (OLG) weiter. Am selben Tag wies das OLG per Beschluss darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Beschwerde des Antragsgegners als unzulässig zu verwerfen, weil die Rechtsmittelbegründung nicht innerhalb der geltenden Frist (§ 117 Abs. 1 Satz 3 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) eingegangen sei. Diese beläuft sich bei der Begründung auf zwei Monate ab Bekanntgabe der Entscheidung. Es wurde vom Rechtsanwalt sodann die sogenannte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt - unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner ansonsten zuverlässigen Kanzleimitarbeiterin, die für das Fristenmanagement zuständig war. Dennoch blieb der Antrag erfolglos.

Es entspricht laut BGH der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein Rechtsanwalt die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen darf. Dennoch muss der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare tun, um die Wahrung der Fristen zu gewährleisten. So hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden, und die Fristen auch in der Handakte einzutragen. Der Anwalt muss die Fristen auch immer dann kontrollieren, wenn ihm die Handakte zur Bearbeitung vorgelegt wird. Dies hat er hier unterlassen - und sein Mandant nun das Nachsehen.

Hinweis: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Der Ehemann kann nun den Anwalt in die Haftung nehmen - ein weiterer für alle Seiten nervenaufreibender Prozess. Besser ist es daher, wenn der Anwalt auch den Mandanten stets über sämtliche Fristen in Kenntnis setzt und somit auch für sich eine weitere Kontrollinstanz einsetzt.


Quelle: BGH, Beschl. v. 31.07.2024 - XII ZB 573/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 11/2024)